Glückskeks und die Hauptstadtkatze

"Wuaaah Hauptstadtkatze", sagte Glückskeks verträumt - nur sie konnte solche Ausrufe auf verträumte Weise in den Raum stellen - "das ist ja schon komisch plötzlich hier. Wochenlang ist es, wie wenn man seine Gedanken in einen dunklen Raum, in ein schwarzes Loch hineinruft, und plötzlich hört man Stimmen aus diesem Raum zurückrufen. Und es fliegt einem eine Frageliste entgegen, und man merkt, man ist in diesem Raum gar nicht alleine. Ich geh mal in mich, Hauptstadtkatze, und überlege mir die Antworten zu all diesen Fragen auf der Liste, und dann geh ich schlafen, und dann mach ich die andere Liste, und dann mach ich sauber hier und dann schreib ich ein paar Briefe und e-mails, und dann geh ich Katzenfutter kaufen und dann...." Wieder murmelte sich Glückskeks in einen traumreichen Schlaf. Die Hauptstadtkatze lag noch lange wach, mit schreckgeweiteten Augen. Das Kaufen des Katzenfutters war auf dieser Liste an besorgniserregend hinterer Stelle.

²Aber eigentlich geht das doch gar nicht, Hauptstadtkatze", sagte Glückskeks. "Ist es nicht unmöglich, zwei Männer zu lieben? Sagen das nicht alle Koryphäen des Metiers, Cosmopolitan, die Frauen von Sex and the City und die gute alte Brigitte? Und doch, liebe ich nicht auch Gil Grissom UND Horatio Cane? Liebe ich die beiden denn? Und wenn ja, auf die gleiche Weise? In der gleichen Intensität? Mit denselben Wünschen und Träumen? Ich muß das genauer analysieren. Ich muß eine Liste machen, warum ich den einen mag und warum den anderen. Genau, eine Liste. Ich muß das schließlich irgendwann selber verstehen. Ich komme dem auf die Spur. .." Glückskeks murmelte sich in den Schlaf. Die Hauptstadtkatze rollte sich am Fußende zusammen und stellte ihre eigenen Listen auf.

"Weißt du wo ich war, Hauptstadtkatze??" sagte Glückskeks. Die Hauptstadtkatze hörte interessiert zu, um herauszufinden, was denn so verdammt wichtig gewesen war, daß man vergessen hatte sie zu füttern. "Ich habe nach 6 (sechs!!) langen Wochen des Wartens den Zweitbesten von allen wiedergesehen. Ich kann es immer noch nicht glauben.. er ist keine virtuelle Illusion, kein Hirngespinst des WWW, nein, er ist real und hat einen Kaffee mit mir getrunken - naja, zwei und noch was gegessen. Und er ist ja sowas von real..." Glückskeks japste schon wieder nach Luft und guckte extrem wuschig. "Ich will den so sehr haben, daß es wehtut. Ich will diese Lippen, die nie stillstehen vor lauter irrem wirren abstrusem interessanten Wortschwall, einfach küssen, daß ihm die Luft wegbleibt. He's got the brand of kisses that I die for, lalalaaaa..." "Jetzt singt sie auch noch Patsy Cline", dachte die Hauptstadtkatze, "das kann ja nicht gutgehen. Ich kenn den ja nicht, aber der bringt sie auf nen Trip, da braucht sie drei Tage, um runterzukommen." Sie seufzte und richtete sich auf eine längere Taubenbeobachtungsphase ein.

"Ich halts im Kopf nicht aus, Hauptstadtkatze", sagte Glückskeks. "Nicht genug, daß der zweitbeste von allen mir von einer endlosen Reihe von neuen Eroberungen berichtet - kannst du dir vorstellen, daß Eifersucht irgendwann langweilig werden kann - und der beste von allen nun wirklich konkret und zumindest halbwegs konsequent in Planung seines weiteren Lebens ohne unseren gemeinsamen Arbeitsplatz ist, aber trotzdem zumindest scherzweise eine weitere Zusammenarbeit andeutet", atemlos japste Glückskeks nach Luft vor lauter Satzlänge und innerer Unruhe, "Nein, jetzt melden sich auch noch alte Bekannte aus meiner Hauptstadtzeit. Und ich bekomme einen Kommentar aus der großen weiten Bloggerwelt, der mich ebenfalls zum Umziehen ermuntert. Und mein Herz ist grade ein bißchen auf der Reise, und Lidl verkauft billige Bahntickets - sind das alles Zeichen des Schicksals, Zeichen der Hauptstadt, Zeichen des Fernsehturms, der mich ruft?" Die Hauptstadtkatze schaute gelangweilt aus dem Fenster auf den endlosen Strom von Autos und Tauben und überlegte, wie es wäre, wieder den Landwehrkanal und Schiffe und Möven zu sehen. "Wenn sie dann wieder in der besten Stadt von allen sitzt und dem besten von allen nachjammert, freß ich ne Möve auf und werf mich der größten Kellerratte an den Hals", dachte sie. "Regel du dein Leben hier und ich regel meins. Und kauf mal wieder Futter und vergiß es nicht vor lauter Chatten mit dem zweitbesten"

"Ich sehne mich immer mehr nach der Hauptstadt zurück", sagte Glückskeks zur Hauptstadtkatze. "Der beste von allen mag mich jetzt, aber wird da jemals mehr sein? Der zweitbeste von allen erschöpft sich in endlosen Flirts, auf seiner Liste bin ich wohl die sechstbeste von allen, falls ich auf dieser Liste überhaupt auftauche. Du magst Möven eh lieber als Tauben, und irgendwie sehen die auch sauberer aus, oder? Und ich... ich will mal wieder aufwachen und weinen, weil ich da bin, wo ich bin. Ich will mich mal wieder größer, schöner, dünner, süßer, schlauer, lebendiger fühlen als ich eigentlich bin, weil ich bin wo das Leben tobt. Niemand wird das je verstehen. Ich will mich wieder mal in die U-Bahn setzen und den Kopf irgendwo wieder rausstrecken wo es schön zu sein scheint, und es ist immer immer schön. Ich will wieder in der U-Bahn jemand kennenlernen und in seine braunen Augen sehen und abends von ihm erzählt bekommen, daß Allah seinen Namen in seine Hand geschrieben hat - ich grüße Dich, Gündüz, wo auch immer Du jetzt bist. Ich will von einem Wildfremden abends in meiner Straße auf den Arm genommen und drei Meter getragen werden, weil er mich zwar pummelig, aber trotzdem unwiderstehlich findet - wer findet mich hier schon zwar pummelig, aber unwiderstehlich?? Ach Hauptstadtkatze, was für ein großes, großes, großes Durcheinander...." Die Hauptstadtkatze beschloß, einfach ruhig zu bleiben und abzuwarten, was man beschloß. In ihrem Herzen war sie sowieso eine Hauptstadtkatze geblieben.


Wat meint ihr, soll ich umziehen?

	Na sicher doch
	Blödsinn, bleib ersma noch wo du bist
Ergebnis anzeigen Erstellt von glueckskeks am 2005.05.15, 00:32.