Samstag, 24. Juni 2006
flagging down fortune
Glückskeks saß in der neuen Wohnung zwischen Kisten und Kasten auf einer Matratze am Boden, und die Hauptstadtkatze lag daneben und putzte sich äußerst sorgfältig. Beide dachten nach. „Ist schon blöd, Hauptstadtkatze“, sagte Glückskeks schließlich. „Ein Umzug dauert so lange, und dann hat man kein Internet, und dann kommen die Internetanschlußexpertenmänner endlich, und dann fehlt irgendein Anschlußdings, und dann hat man wieder kein Internet. Dabei ist Internet doch wichtig.“ Die Hauptstadtkatze fand das auch, schließlich war ein Laptop irgendwie sehr bequem und machte so lustige Geräusche, wenn man mit den Pfoten drauf rumdrückte. „Ich lese mein Horoskop, und ich lese was andere Leute denken und was andere Leute schreiben, und wer neue Platten macht und wie die WM grade läuft, und allsowas. Und im Moment lese ich allsowas halt nicht, und sitze nur da und denke viel zuviel nach über die letzten Tage, und den besten von allen. Über den sollte man besser nicht zuviel nachdenken. Ich meine, der ist und bleibt ein Rätsel. Er strahlt mich an, er sitzt bei WM-Spielen im Stadion vor mir und beugt sich zurück zu mir und erzählt mir was und lenkt mich ab mit einem seiner unnachahmlichen Gespräche, diesmal über den Sammelwert der Plastikbecher im Stadion, und ich denke, jetzt ist er grade zum Greifen nah, zum Berühren nah, zum Küssen nah, und dann fällt ein Tor und keiner von uns sieht es. Er sitzt auf meiner Terasse, auf der neuen, oder in meinem Wohnzimmer im Chaos mit den anderen, und guckt Fußball, und brüllt sich die Seele aus dem Leib, natürlich für E*uador, wenn alle anderen für Deutschland brüllen, aber dann jubelt er doch für unsere Jungs, und er ist so laut und lacht und grinst und trinkt Bier und ist so wundervoll scheißnormal. Und dann gehen alle bis auf ihn und noch einen, und er geht runter an sein Auto und wechselt sein Fanshirt und bringt die Fahne des Landes mit, in dem er mal gewohnt hat, das Land der Frau mit, die ihn vor Jahren und Jahren verlassen hat nach sieben Wochen Verheiratetsein, und die Fahne ist so zerrupft, dass es schon lustig ist und gleichzeitig ein bisschen traurig. Und dann sprech ich ihn drauf an und sage, die hat ja schon was mitgemacht, und er sagt ja, die Fahne war am Boot, an der Segelyacht. Und er sitzt da und bekommt sein spezielles Gesicht, und ich weiß, er ist in seiner eigenen kleinen Welt und schippert vielleicht grade Jahre und Jahre zurück und denkt an die Zeit und das Land und vielleicht auch die Frau. Und jeder andere würde grandios lächerlich aussehen mit diesen Fahnenfitzeln in der Hand und diesem seltsamen Gesichtsausdruck, aber er nicht. Und dann sagt der andere, er muß jetzt gehen, und auch der beste von allen flüchtet plötzlich und ich sitze in meiner neuen Wohnung im Chaos, und mein Herz ist auch ein Chaos, weil ich an ihn denke und ihn eigentlich einfach in den Arm nehmen möchte, aber er ist ja weg. Und dann sehe ich auf der Fensterbank ein paar von diesen wahnwitzigen Fahnenfitzeln liegen, und es ist, als hätte er mir etwas dagelassen, und ich bilde mir ein, er hat ein bisschen von seinem Herzen dagelassen, von ausgeträumten Träumen und vergangenen Hoffnungen. Oder einfach nur ein bisschen Fahnenfitzelmüll? Ach Hauptstadtkatze, über den sollte man besser nicht nachdenken…“ Glückskeks packte den Laptop ein, mit dem sie morgen den Text ins Netz stellen würde, und die Hauptstadtkatze machte einen weiteren Patrouillengang durch die neue Wohnung, der sie noch nicht ganz traute, und überlegte sich, ob sie gar einen Abstecher auf die größte Dachterasse der Welt wagen sollte, aber das war vielleicht noch ein wenig zuviel. Ich sollte mich vielleicht nicht so weit vorwagen, dachte sie. Aber Glückskeks, sollte die sich vielleicht etwas weiter vorwagen? Die Hauptstadtkatze schaute etwas nachdenklich beim Patrouillengang und hing ihren eigenen Erinnerungen nach.

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Also wenn die Hauptstadtkatze sich irgendwann vorwagt... hmmm...

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keine bange, auf die dachterasse, nicht die dachterasse runterpurzelnd.. die hauptstadtkatze ist extrem dacherfahren. und überhaupt und sowieso ja mit allen wassern gewaschen.

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Ich dachte jetzt mehr an Dich.Wenn sie sich vorwagt... und du...!?!

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Ja... so.. ganz wie die Hauptstadtkatze.. auf leisen, sanften, vorsichtigen Pfötchen? :-)

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ja, eines tages, eines tages, wenn der mond günstig steht und ich ein bißchen besoffen bin vor liebe oder sommerbier oder was auch immer grade, dann vielleicht... aber meine pfötchen sind so tramplig manchmal, oder sie kommen sich nur so vor.. die hauptstadtkatze kann sich viel besser in herzen schleichen

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Ich finde eh, dass nun mal der Beste dran ist, ein bisschen mehr zu riskieren als bunte Fahnenfitzel.

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der beste von allen bewegt sich, wenn überhaupt, so rasend schnell wie ein gletscher. ich bin immer noch völlig von den wegen umzugs noch nicht unbedingt in paaren auftretenden socken, daß er sich völlig ohne netz und doppelten boden in die höhle des löwen, äh der löwin, äh des glückskeks gewagt hat. das ist ein historisches ereignis, dessen wichtigkeit absolut gar kein bißchen zu unterschätzen ist und höchstens noch mit einem weltmeistertitel 2006 oder ähnlichem gleichzusetzen wäre. aber unter uns, frau arboretum, ich würd auch mehr als fahnenfitzel nehmen, natürlich, natürlich.

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Sie haben wirklich eine Engelsgeduld. (Ich hingegen drohe ihm gedanklich schon damit, ihn demnächst von der Dachterrasse zu schubsen, wenn er nicht mal bald zu Potte kommt.)

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ach, solche gedanken hab ich nun täglich, frau arboretum. das is normal. dazu bringt er einen. wo wir ja auch eine arbeit haben, wo ab und an ein paar scharfe messer und wurfgegenstände drin vorkommen. putzig, daß er diese gedanken sogar in menschen produziert, die ihn gar nicht persönlich kennen. fernwirkung halt.

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Womit jetzt geklärt wäre, dass Sie im Zirkus arbeiten. ;-)

Wer wirft die Messer?

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natürlich. im landeshauptstädtischen zirkus. ich bin dort flexibel beschäftigt, mal als clown, mal als dressurpferd, zuweilen als elefant, gelegentlich als löwendompteuse, auch gern mal als kartenabreißerin. dabei mache ich am allerliebsten popcorn. die messer wirft meistens der beste von allen, im zirkusdirektorenbüro. zum abreagieren. hätt ich grad mein kamerahandy dabei, tät ich ein bild ins internet stellen. ich schwör.

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