Dienstag, 4. April 2006
far away, close to fortune's heart
"Und dann war da dieser Mann", sagte Glückskeks, als sie mit der Hauptstadtkatze Richtung Balkon verschwand, um noch ein bißchen in die Sterne zu gucken, "und glaub mir, Hauptstadtkatze, der ist sowas von intelligent. Der wollte aus seinem Buch vorlesen, aber dann hat er gar nix draus vorgelesen, nicht eine einzige Zeile, sondern nur geredet über seine Reisen, fast zwei Stunden lang, und ich habe mich nicht eine Minute gelangweilt, sondern fasziniert zugehört. Und in meinem Kopf war nur seine Stimme, so groß war das, was er erzählt hat, so wortgewaltig und so raumfüllend, und ich hab gedacht, der könnte jetzt ewig so weitermachen, der könnte mir die Welt erklären, und wenn er eine Pause gemacht hat, hab ich mir überlegt, was ich ihm antworten würde. Wie wundervoll es ist, jemanden zu verstehen, wenn er aus seinem Inneren erzählt, wie Eindrücke auf ihn gewirkt haben. Wie unendlich es ist, etwas durch die Augen und Ohren und die Seele eines anderen sehen zu dürfen, und wie er es so erzählen kann, daß ich es nacherleben konnte. Es war, wie wenn man dagewesen wäre. Nein mehr als das, es war wie wenn man es mit ihm erlebt hätte.." Im Vorbeigehen durch die Küche goß Glückskeks die Plumeria, die immer noch im Winterschlaf schlummerte, und füllte Futter in den Napf der Hauptstadtkatze, die jedoch lieber vorging auf den Sternenausguck. "Und stell dir vor, danach dann hat dieser Mann seine Bücher signiert und kurz vor mir waren sie natürlich alle, isklarne, und ich hab mir meine Eintrittskarte signieren lassen und habe doch tatsächlich mit diesem Mann rudimentär GEFLIRTET und hab gesagt, das wäre dann halt mein persönlicher Schuldschein und ich würde auch wirklich das Buch noch kaufen, ganz bestimmt, und er hat mich angelächelt und mich durchbohrt mit einem Blick aus diesen weitgereisten intelligenten mitfühlenden Augen und hat "Persönlicher Schuldschein" auf die Karte mit draufgeschrieben, und ich muß mich dann jetzt "dringend" bei ihm melden, wenn ich das Buch auch wirklich gekauft habe. Doch, jetzt guck nich so, das ist wirklich wahr, du ungläubige Hauptstadtkatze, und wenn dus nicht glaubst, guck dir die Eintrittskarte an, und wenn du dran rumkaust, verkauf ich dich auf dem Flohmarkt im Sack. Das steht da wirklich drauf. Und dann..... und dann.... bin ich gegangen, und drei Meter aus dem Saal rausgelaufen, und na rat mal wer dann angerufen hat... isklarne, der beste von allen, und ich bin noch hingefahren zu ihm auf die Arbeit und hab einen Kaffee mit ihm getrunken, und er hat von einem Werbespot erzählt und von einem Kollegen und von Taxis. Und von irgendwelchen Turbanen. Und ich hab gedacht, oh Mann. Oh Mann. Das jetzt. Nach diesem Abend, prall voll gefüllt mit einem Wortreichtum, der zum Niederknien war, von Sprache, die sich fast neu erfunden hat, von Erzählungen, die so plastisch waren, daß ich dieses fremde Land riechen und fühlen konnte. Oh Mann. Warum stinkt er mit seinem Gespräch nicht wenigstens DAGEGEN ab. Hat er aber nicht. Für mich. So ne Scheiße." Die Hauptstadtkatze sah Glückskeks wieder nur an, weil was gab es da schon dazu zu sagen. Oder Moment mal, dachte sie, doch, eine Frage, hast du ihm wenigstens von der Eintrittskarte erzählt... "Aber wenigstens", sagte Glückskeks, "hab ich ihm die Eintrittskarte gezeigt, den persönlichen Schuldschein, den du nicht anfrißt bitte!! Und ich glaub schon, daß meine Augen noch ein bißchen gefunkelt haben, weil grad alles noch so frisch war. Und jetzt wünschte ich mir, er hätte verstanden, wer mein Held des Abends wirklich war. Aber ich glaube, das hat er nicht." Glückskeks seufzte, und die Hauptstadtkatze gedanklich auch.

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