Montag, 27. Februar 2006
deadlines of fortune
"Und dieser ominöse Tag der Abrechnung, der kommt auch immer näher", sagte Glückskeks. Die Hauptstadtkatze ließ Wollfussel Wollfussel sein und kam wieder näher. Möven??, dachte sie. "Der Tag, der entstand, als ich in der U-Bahn saß und geheult habe und gedacht habe, du blöder alter Sack, was ist an dir eigentlich grandioses dran, daß ich so gar keine Wahl habe, daß ich Berlin und die Möven und den Kanal und den Fernsehturm für dich aufgebe, nein daß ich ihnen nicht mal ne faire Chance gegeben hab, sondern weiß daß ich zurückfahre in die Stadt mit den tausend Tauben und dem bleifarbenen trägen Fluß. Aber warte nur, wenns in zwei Jahren nix geworden ist mit uns, dann komm ich zurück hierher!" Glückskeks guckte immer noch ganz grimmig in Erinnerung an diesen Tag. "Und jetzt, jetzt sind die zwei Jahre fast um. Und ich denk mir, was hab ich jetzt. Ich hab mehr als nix, das geworden ist, aber viel weniger als etwas. Es gibt Tage, da denke ich, die Liebe guckt mich an durch ein Fernglas und denkt sich, wo ist Glückskeks nur.. ah ja, ganz weit da drüben, ich kann sie kaum sehen. Und es gibt Tage, an denen ich durch die andere Seite des Fernglases gucke und denke, da ist sie ja, die Liebe, die ist ja viel näher als ich meine, ich kann sie ja fast anfassen, ihn anfassen. Nur, welche Seite des Fernglases ist richtigrum?" Die Hauptstadtkatze seufzte mal wieder und dachte sich, daß es keine Chance gibt für Möven, wenn man sie durch Ferngläser sieht. Dann sind sie viel zu weit weg, auf jeden Fall.

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fortune, cold turkey
"Er hatte dann doch ein Hemd an, der New Yorker", sagte Glückskeks, und ihre Augen sahen noch andere, sehr blaue Augen mitten im Abend gestern. "Und das Konzert war viel, viel zu kurz, und der beste hatte viel, viel zu sehr den blues, als daß die Zeit gereicht hätte, ich konnte ihn nur einmal zum Lächeln bringen, und dabei mag ich es doch so sehr, wenn er so haltlos kichert, wie ein kleiner Junge sonntagsmorgens vor dem Fernseher mit Stan und Ollie, oder was auch immer kleine Jungs sonntagsmorgens so kichernd gucken. So wie er kichert, wenn ich ihm mit todernstem Gesicht erkläre, daß auf Kanal 2 die deutsche Simultandolmetscherin ist, und auf Kanal 1 die originalen russischen Stimmen, und er dann weiter auf den Kanälen sucht, und ich dann sage, 11, 11, Kanal 11, ich glaube da sind Stimmen von Verstorbenen.." Hä, dachte die Hauptstadtkatze. "Naja, Insiderwitz", sagte Glückskeks. Aha, dachte die Hauptstadtkatze, some things are best kept inside. "Auf jeden Fall", sagte Glückskeks, "auf jeden Fall hat es gestern alles nicht gereicht, auch nicht für mich, auch nicht meine SMS danach, auch nicht daß er dann direkt nochmal angerufen hat, auch nicht meine nächste SMS, auch nicht daß er dann nochmal gleich angerufen hat, auch nicht das Telefonieren heute, ich vermisse ihn immer noch. Sehr. Sehr. Ich bin auf Entzug." Die Augen von Glückskeks sahen tatsächlich etwas fiebrig aus, wie die Hauptstadtkatze feststellte, oder zumindest seltsam blank. "Und dann all diese Gedanken an die letzte Woche.." Glückskeks mußte einfach weiterreden, weil der beste einfach ein bißchen wahrer und näher wurde, wenn sie redete. "Weißt du, Hauptstadtkatze", sagte sie zur allwissenden Hauptstadtkatze, "manchmal war ich so ohne Rettung vor diesen blauen Augen, diesen Händen, diesen Schultern, diesem Nacken, diesem Haar, diesem Atmen, daß ich gedacht habe, was mache ich nur, das brennt sich alles grade in mein Herz, ER brennt sich in mein Herz, and I`ve got no defense at all, no fucking defense whatsoever, und vielleicht wird dat ja nie wat, und irgendwann sitze ich dann da und bin alt und schrumplig, und auf meinem alten und schrumpligen Herzen ist er immer noch eingebrannt, da steht immer noch sein Name. Und was hab ich dann?!" Ein Herz mit Branding?, dachte die Hauptstadtkatze. "Ne Seele mit ner Hundemarke", schnaubte Glückskeks. "Und diese Erinnerungen.. daß einmal ein Lennon-Song für mich gespielt wurde. Daß einmal jemand jenseits der Alpen, mitten in der Nacht, auf meine Mailbox gesprochen hat. Daß einmal jemand zu mir gesagt hat, Freundschaft ist wichtiger als Sex, und doch nur grade ein U-Bahn-Gespräch wiederholt hatte, das er grade mitgehört hatte. Daß einmal jemand mich im Hofbräuhaus, im unsäglichen, abgefuckten, angeguckt und angelächelt hat und dabei seine Augen so dermaßen geblitzt haben, daß ich mich gefühlt hab wie der größte Star bei der Oscar-Verleihung.. Ich danke meinem Regisseur, und meinem Publikum, ich danke der Academy.... und danke, danke daß es ihn einfach gibt." Glückskeks' Augen brannten nun endgültig, aber sie hatte zu große Angst, daß wenn sie fertig wäre mit dem Heulen, die Gefühle nicht mehr so schlimm überschwappen würden und er dann ein bißchen weniger wahr und ein bißchen weniger nah sein würde, bis sie ihn wiedersehen konnte. Und die Hauptstadtkatze spielte ein bißchen leiser mit dem gerade entdeckten Wollfussel, um Glückskeks nicht zu stören.

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